Globale Vernetzung: Basis für "Kollektive Intelligenz" oder das Ende aller Diskussionen

Foto: renjith krishnan / FreeDigitalPhotos.net

Führt Globale Vernetzung zur
Kollektiven Intelligenz?

Hätte man jungen Menschen vor 30 Jahren von der globalen Vernetzung im Jahr 2010 und den damit entstandenen Möglichkeiten zu kommunizieren und zu publizieren erzählt, dann hätten sie vermutlich angenommen, dass solche Möglichkeiten total aufgeklärte und kaum manipulierbare Bürger hervorbringen, die global diskutieren und sich an der richtigen Lösung der großen Weltaufgaben beteiligen.

Denn damals hatte sich in Deutschland eine Streitkultur entwickelt die Diskussionen als wichtig, spannend und meist sogar unterhaltsam ansah. In Kommunikationszentren wie dem KOMM in Nürnberg kamen junge Leute zusammen um einen abend lang über ein aktuelles Thema zu streiten. Dabei ging es mehr oder weniger hitzig zu, nicht immer gab es Ergebnisse doch gemeinsam war allen Beteiligten sich informieren und eine Meinung bilden zu wollen und die Vorstellung, dass so etwas ähnliches wie Irrtümer und Erklärungen möglich sind.

Wie es zu dieser Diskussionskultur kam kann ich nicht erklären, ich vermute aber, dass der Geist der Aufklärung die Basis und das selbstkritische deutsche Bewusstsein der „Nachkriegskinder“ die sich von den Taten ihrer Eltern distanzierten, Gründe für die Offenheit und Diskussionsfreude der jungen Menschen war. Vielleicht irre ich mich aber auch und die damalige Diskussionskultur war ebenso exotisch wie sie es heute ist – nur war ich damals Teil davon und heute nicht?
Denn auch ich – nicht ganz so alt, aber schon lange nicht mehr jung – zähle mich zur „Diskussions-Generation“, bin gleichzeitig aber intensiver Internetnutzer seit 15 Jahren.

Mir fällt auf, dass die globale Vernetzung gerade NICHT zu offenen Diskussionen und konstruktiven Streits führt, eher zum Gegenteil, dem Ende konstruktiver Streitgespräche. Interessante Beobachtungen hierzu kann man in einschlägigen Internetformen wie Telepolis oder Heise, gerade aber auch bei dem kurzen Hype der Piratenpartei und natürlich bei dem üblichen seichten Facebook- und Twitter-Gedüdel machen.

Ich frage mich, was die Ursachen für das Ende der Diskussionskultur sind. Ein paar Phänomene, die dazu beitragen sind sicherlich:

  • Fehlen persönlicher emotionaler Rückmeldung durch Stimmmelodie, Mimik etc. führen zu Missverständnissen;
  • Mitmenschen treten nicht als Individuen in Erscheinung was dazu führen könnte, dass keine Beziehung zu ihnen eingegangen wird für die zu streiten es sich lohnend erscheint;
  • Angst davor die publizierte Meinung könnte evtl. eines Tages negative Auswirkungen haben;

Aber außer diesen grundsätzlichen Überlegungen muss ich sagen – ich habe keine Ahnung warum die globale Vernetzung solche  – und nicht andere – Auswirkungen auf das Kommuikationsverhalten hat. Dieses Thema würde mich aber interessieren und folglich auch Deine Meinung dazu. Vielleicht kennst Du ja Literatur, Online-Veröffentlichungen, Diskussionen dazu oder hast Lust Dich mal persönlich oder online mit mir über dieses Thema zu streiten.

Lass es mich wissen!
Ralph Lindner

Foto: renjith krishnan / FreeDigitalPhotos.net

3 Antworten

  1. Gerade bin ich über eine Rezension von „Pierre Lévy: Die kollektive Intelligenz –
    für eine Anthropologie des Cyberspace“ gestolpert.

    Ich habe zwar nur die Rezension und nicht das Buch gelesen, allerdings scheint mir Hr. Lévy in einer völlig anderen Raum zu leben, als ich. Zumindest was unsere Wahrnehmung angeht ist die eher gegensätzlich. Einerseits wird die These der Kollektiven Intelligenz formuliert, die aber „Forderungen“ nach sich zieht, ohne deren Erfüllung seine These des gemeinsamen Denkens und kulturellen Miteinanders eine absolute Ausnahmeerscheinung und nicht die Normalität in der global vernetzten Welt darstellt. Gerade das „geistige Eigentum“, dessen Schutz und Vermarktung durch die Digitalisierung und die Vernetzung in den Mittelpunkt gerückt ist, ist erst jetzt zu einem so bedeutenden Wirtschaftsfaktor geworden. „Inhalte“, „Rechte“, ja sogar „Gene“ werden privatisiert und der Allgemeinheit die unentgeldliche Nutzung entzogen. Wenn ein Wissen eine Basis zur Wertschöpfung darstellt wird es heute nicht weniger geschützt wie im Mittelalter das Wissen der Baumeister.

  2. Was bedeutet Intelligenz? Sie bezeichnet im weitesten Sinne die geistige Fähigkeit zum Erkennen von Zusammenhängen und zum Finden von Problemlösungen. Intelligenz kann allerdings nicht nur als die Fähigkeit, den eigenen Verstand zu gebrauchen, angesehen werden. Sie zeigt sich in folgerichtigem Handeln.

    Die Ursachen für eine fehlende Diskussionskultur im Zusammenhang mit globaler Vernetzung sehe ich in folgenden Punkten:

    *Menschen die sich ganzheitlich informieren können und sich intensiv austauschen, erfahren häufig das es die eine Wahrheit nicht gibt, für die es sich lohnen würde zu Streiten. Wir leben in einer dualen Welt, jede These hat ihre Antithese, und alles hat eine Anspruch auf Wahrheit
    *Beweggründe zur Nutzung dieser Vernetzung.
    Dieses globale Netz wird häufig einfach dazu genutzt, wozu der Menschen erzogen ist. Günstiger kaufen, effizienter verkaufen, für die Person, Meinung oder das Produkt zu werben, zu manipulieren und am häufigsten um Perversion auszuleben. Es besteht scheinbar noch kein allzu großes Interesse an konstruktiver Vernetzung (Synthese), wächst aber stetig.
    *Auf entsprechenden Foren, auf denen themenbezogen Diskutiert wird, geht es häufig nur um den Streit an sich, und darum sich gegenseitig zu beschimpfen oder zu verurteilen, seltener darum einen Konsens zu finden. Was teils an der eigenen Unsicherheit und am Mangel konstruktiver Vorschläge liegen könnte.
    *Das bestehende Netzwerk und die Werkzeuge, dieses Netzwerk zu nutzen (Foren, Communities, News…), sind eher darauf ausgelegt zu zerstreuen als zu zentrieren. Es gibt z.B. zig Foren mit sehr ähnlichen Themen, aber noch sehr wenig Ansätze, diese vernünftig zu verbinden. Unüberschaubare Datenfluten und Sümpfe entstehen.
    *Im Bezug auf globale Intelligenz ist das Problem, das es kein geeignetes Werkzeug gibt, mit dem gezielt auf einen Konsens hingearbeitet werden kann und dann auch entsprechendes globales Handeln organisiert werden kann.
    Die Wikipedia ist eine gutes Beispiel für ein zentrierendes Konsens-Werkzeug im Bezug auf Wissen. Nun ist es an der Zeit ein Werkzeug zu programmieren mit dem wir Wissen, Kreativität, Fähigkeiten und Ressourcen konstruktiv miteinander verbinden können. Dann allerdings liegt es noch am Einzelnen sich einzubringen, ohne den eigenen Vorteil unbedingt in den Vordergrund zu stellen.

    Unabhängig von meiner persönlichen Entwicklung habe ich große Hoffnung, das sich die globale Vernetzung zum positiven bzw. konstruktiven entwickelt. Die Organisation in Bezug auf „so nicht mehr“ funktioniert ja schon ganz gut, angesichts der jüngsten Ereignisse. Jetzt fehlt es nur noch an wirklichen Alternativen, die sich nicht an bestehenden eingefahrenen politischen oder wirtschaftlichen Strukturen orientieren.

    In diesem Sinne, keep the Vision

    Michael

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